Der Doppeladler beschäftigt die Schweiz
Jedes Jahr ermittelt die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) das Wort des Jahres. Dieses soll sinnbildlich dafür stehen, was unser Land im aktuellen Jahr bewegt hat. Ich muss sagen, die diesjährige Wahl hat mich im ersten Moment erstaunt, ja sogar etwas missmutig gestimmt. Doch dann habe ich mich etwas genauer mit den Hintergründen befasst und musste dem Doppeladler am Ende seinen doch sehr berechtigten 1. Platz einräumen.
Eine einfache Geste, die eine weitaus kompliziertere Debatte auslöste
Während des Fussball-WM-Spiels am 22. Juni zeigten die Schweizer Nationalspieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri die Geste des Doppeladlers im Anschluss an einen Treffer gegen die serbische Nationalmannschaft. Ich wette, die meisten Menschen verstanden in diesem Moment gar nicht, was es mit dieser Geste eigentlich auf sich hatte – so auch ich.
Die Debatte, die direkt im Anschluss an das Spiel begann, beschäftigte in diesem Jahr die ganze Schweiz, neben der deutschsprachigen Schweiz auch die italienischsprachige und so wurde auch dort «gesto dell’aquila» zum Wort des Jahres gewählt. Die Geste zog so einiges nach sich: Kopfschütteln und Diskussionen bei den meisten Schweizerinnen und Schweizern auf dem Sofa, ein Strafverfahren gegen die betroffenen Spieler mit saftigen Bussgeldern sowie eine politische Diskussion über die Loyalität der Doppelbürger gegenüber der Schweiz. Der Doppeladler – das albanische Freiheitssymbol – löste eine ganze Welle an Debatten über Loyalität, Doppelbürgerschaft sowie Solidarität gegenüber Doppelbürgerinnen und -bürgern aus. So hatte doch auch der Schweizer Captain Stephan Lichtsteiner die Geste geformt, um seine Teamkollegen zu unterstützen.
Die Bestimmung des Wort des Jahres
Seit einiger Zeit wird für die Bestimmung des Wort des Jahres die Methode der Textanalyse angewandt. Das Forschungsteam der ZHAW unter der Leitung von Daniel Perrin nutzt dazu die Textdatenbank Korpus Swiss-AL und leitet daraus ab, welche zwanzig Wörter im betreffenden Jahr häufiger als in den vergangenen Jahren verwendet wurden. Die Datenbank umfasst auch Texte aus den sozialen Medien. Für die deutsch- und italienischsprachige Schweiz hat sich so das Wort «Doppeladler» herauskristallisiert. Berechtigterweise, muss ich sagen, so hat doch der Doppeladler fast dieselbe Berühmtheit erlangt wie damals der Pferdelasagne-Skandal.
Die Schweiz hinter dem Röstigraben bleibt hingegen cool
Entgegen der grossen Aufruhr in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz hat der Doppeladler in der Westschweiz nicht annähernd so grosse Wellen geschlagen und wurde daher von der Jury nicht zum Wort des Jahres gewählt. Der Begriff «charge mentale» (mentale Belastung) machte dort das Rennen. 2017 wurde dieses Konzept durch eine französische Bloggerin geprägt und widerspiegelt den Druck der Gesellschaft, immer über alles nachdenken zu müssen (zum Beispiel darüber, was denn die Geste des Doppeladlers überhaupt auf dem Fussballfeld zu suchen habe …).
Und was ist eigentlich mit unserer Jugend passiert?
„I bims“, „Yolo“, „Smombie“ – wir alle kennen noch die lustigen Jugendwörter der vergangenen Jahre. Immer polarisierten sie; ältere Menschen mussten zweimal hinhören und verstanden sie selbst dann noch nicht wirklich. Doch dieses Jahr dann die Wende: Das Jugendwort des Jahres 2018 ist „Ehrenfrau“ bzw. „Ehrenmann“. Ein Wort, das durch alle Generationen hindurch bekannt ist. Man versteht darunter eine Person, die zum Beispiel in einer Bar einen ausgibt, jemanden nach Hause fährt oder sich in anderweitiger Art ehrenhaft verhält. Nun ja – vielleicht können wir uns nächstes Jahr ja wieder auf etwas Ausgefalleneres freuen. In diesem Sinne fröhliche Festtage und einen guten Rutsch ins Jahr 2019!
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